Ursprung des Schach in Indien …

In welchem Lande und zu welcher Zeit das Schachspiel erdacht sein mag, steht nicht unzweifelhaft fest. Auch wird über seine ursprüngliche Gestaltung gestritten, aber gänzlich unbekannt ist der Name des Erfinders. Alles was hierüber und hinsichtlich der Umstände der Erfindung erzählt worden ist, hat nur den Wert gleichgültiger Fabeln. Der grössten Wahrscheinlichkeit nach gehört die Erfindung nach Indien und betraf ein, dem heutigen Schach entsprechendes, reines Kombinationsspiel auf einem Brett von 8 x 8 Feldern.

Für indische Verhältnisse sind Zeitangaben kaum je mit voller Bestimmtheit zu machen, aber ein einigermaßen gesichertes Datum für die frühe Erfindung des Spieles lieferte, zugleich mit dem Hinweis auf das Morgenland, ein Vortrag des Akademikers Freret, am 24. Juli 1719. Er behauptete, dass es um 537 nach Christi von Indien nach China kam.

Bild: Elefant und Stier – Schachfiguren? Mehr Info …
Diese Angaben sind natürlich unkontrollierbar. Ein um die Jahrhundertwende bedeutender Sinologe James Legge äußerte sich dahingehend, dass das Werk, auf das sich Freret bezog mit Namen Hai-piene zwar beiläufig in der Vorrede des Siang-Hai, dem erklärenden großen Wörterbuch der damaligen Dynastie Chinas erwähnt, sonst aber durchaus unbekannt sei. Er terminierte den Ursprung auf die Zeit zwischen 551 und 577 in der das Schach aus Indien kommend in China eingeführt wurde. G. Schlegel wollte hingegen in einer Dissertation das Reich der Mitte für die Erfindung des Schachspiels verantwortlich machen. Dagegen spricht, dass das eigentliche chinesische Schach auf einem Brett mit 9 x 9 Durchschnittspunkten und einem fließendem Strom in der Mitte, sowie mit teilweise anderen Figuren gespielt wird. Analog sind die Verhältnisse in Japan, und Korea. In Thailand und in der Mongolei hingegen gibt es allerdings eine sehr ähnliche Variante.
Abbildungen von Schachvarianten in China, Japan, …

Zuweilen hat man auch an Ägypten als Ursprungsland gedacht. Das Vorhandensein von uralten plastischen und bildlichen Darstellungen mit Personen an einem Brettspiele gaben dazu Anlaß.


Bild: Schach in Ägypten schon vor 3000 Jahren?
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Aber die ägyptischen Künstler pflegten keine Gegenstände perspektivisch wieder zu geben und die Bilder sind daher meist unklar. Die auf den Brettern von Ihnen dargestellten Figuren ragen nur, meist gedrängt in einer Ecke stehend, über eine gerade Randlinie hinaus , während die hinter derselben liegende Fläche des Brettes sich nicht erhebt und also unsichtbar bleibt. Wenn alle Figuren einander gleich erscheinen, würde die Vermutung sofort gegen das Schach sprechen, obwohl es auch christliche, etwas nachlässig angelegte Bilder mit gleichen Stücken gibt, die man doch für Schach halten könnte. Wären aber doch die Figuren, die bisher bemerkt worden sind, oder die, welche noch zu Tage treten mögen, unter sich abweichend, so würde auch dieser Umstand allein noch nichts für unser Spiel beweisen, denn es ist doch nicht nötig, dass nur allein im Schach unter allen jetzigen und früheren Spielen eine Verschiedenheit der Figuren bestand.


Bild: Gustavus Selenus
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Die Rythmomachie z.B., die ein sehr altes arithmetisches Spiel ist, erfordert auch die Verschiedenheit der Stücke, wie man bei SELENUS (1616) nachlesen kann. Und erschwerend wird in einem Brief von Dr. S BIRCH vom 1867 erklärt, dass das ägyptische Spiel mit jeweils sechs Figuren auskam, die einander ähnlich aber dennoch verschieden waren. Nach diesen Angaben kann doch nicht vom Schach die Rede gewesen sein. Und weiter werde bedacht, hätte man am Nil das Schach neben anderen Brettspielen gekannt, so würden wohl die Juden es in Oberägypten gelernt haben, auch hätte später, namentlich bei dem stetigen Verkehr zwischen Alexandrien und Konstantinopel, einige Kunde nach dem griechischen Reiche schon in der ersten christlichen Zeit oder noch früher gelangen müssen.

Kein heutiger Ausdruck im Schach führt uns aber auf einen ägyptischen Ursprung zurück. Das klassische Altertum konnte nichts vom Schach wissen und sämtliche Deutungen in dieser Richtung haben sich immer wieder als Irrtum und falsche bzw. mißdeutige Übersetzungen erwiesen. Gerade um die Jahrhundert- wende herum beschäftigte man sich sehr mit der Theorie, des Ursprungs in Indien.


Bild: Älteste bekannte Figuren, 6. Jhdt. n. Chr
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Die meisten Werke, die dort entstanden sind, sind aber bedeutungslos und lieferten keinen neuen Erkenntnisse. Die frühe indische Literatur war stets religiös orientiert und die Erwähnung oder gar Beschreibung von Spielen kann man eher als eine Ausnahme betrachten. Erschwert wurde die Sachlage, dadurch, dass man bis auf wenige Ausnahmen immer nur auf Palmblättern schrieb, die selten mehr als 200 Jahre aushielten und mithin stets neu kopiert werden mussten und oft ergänzende Änderungen erlebten.

Wie wir bisher gesehen haben, wird die anfängliche These nicht im geringsten erschüttert. Woher aber kommt diese fast unumstößliche Meinung, dass um etwa 500 herum Schach in Indien enstanden ist. Nun dies führt wohl auf ein altes Werk des persischen Dichters Firdusi zurück, der fast beiläufig in seinen Erzählungen an zwei Stellen auf das Schachspiel kommt.


Bild: Firdusi von Khurasan: Homer von Persien
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Es handelt sich um das Shah Nameh. An der ersten Stelle berichtet Firdusi wie Kosroes (532 – 578) eine indische Gesandtschaft empfing, die ihm ein Schachspiel nebst Figuren brachte und dabei erklärte, der indische König wolle den verlangten Tribut entrichten, wenn die Perser die Regeln des Spiels errieten, Bei diesem Anlass zählt Fidusi die Figuren in der Ordnung auf, wie wir sie heute kennen. Natürlich errieten die Perser die Regeln und gaben den Indern ein anderes Spielrätsel über das Nerd auf, das aber ungelöst blieb, worauf der Tribut entrichtet wurde. Es sei erwähnt, dass Firdusi hier auf eine ältere Quelle zurückgegriffen hat, dem Pahlavi Kudai Nameh.

Aus dem Pahlavi Khudai Nahmeh …

Das Shah Nameh von Firdusi gehört zu den größten und bekanntesten Werken seiner Zeit. Geschrieben wurde es für den Sultan Mahmud von Ghazma. Das Shah Nameh enthält fast 60.000 Verse und basiert  auf dem Khvatay-namak, die Geschichte über die Könige von Persien bis zum 7. Jhdt.


Bild: König Kosroes tötet Afrasiab und Garsiwaz. Das Bild ist eine Replik aus dem 14. Jhdt. und hängt in der University of Michigan, Museum of Art


Es wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach kopiert und es finden sich auch bei anderen Autoren immer wieder Erzählungen, die aus dem Shah Nameh entnommen wurden. Indes hat auch Firdusi auf noch ältere Quellen zurückgegriffen, wie sich in einigen seiner Erzählungen nachweisen lässt. So lässt sich in einem Artikel von Jamshid Cawasji Katrak aus dem Jahre 1960 nachlesen:
We learn from the Arab geographers of the ninth and tenth centuries, Istakhri and Ibn Haukal, of the existence of fire-temples and strong castles in the province of Fars, and the large number of Fire-worshippers there during their time.  Istakhri states that in the castle of Shiz, in the district of Arrajan, in the province of Fars, were preserved at the time he wrote, manuscripts written in Pahlavi, containing history of the Iranians from earliest times, an illustrated with portraits after the style of the Sassanian bas-reliefs on rocks near Shapur.  Amongst these books was one named Khudai Nameh or ‘Book of Kings’, containing history of ancient kings of Iran from the time of Gayomard down to the reign of Nosherwan.It was complied by a learned Zoroastrian nobleman of the name Daneshwar Dehkan.  Firdousi, in his immortal epic, often refers to this ‘Dehkan’. […]

Sources of Firdousi´s Shah-Nameh …

Diese Geschichte ist eine poetische Fiktion und kann nur für die Zeit, in der sie erzählt wurde, als Beweis für die damals verbreitete Kenntnis vom Schach dienen. Dennoch hat man daraus den geschichtlichen Schluss gezogen, das Spiel sei aus Indien zu den Persern, die es noch nicht kannten, im 6. Jhdt., also zur Zeit Justitians gekommen. Auf Firdusi ist demnach die sehr verbreitete und oft in Werken über Schach oder sonstige Spiele wiederholte Behauptung zurückzuführen, das Spiel sei etwa um 500 in Indien entstanden.


Bild: Der Gelehrte Burzurgmikhr (Mit Mausklick auf das Bild mehr Info) …


Dies könnte zutreffend sein, erwiesen ist die Sache umso weniger, da Firdusi in seiner zweiten Stelle speziell von der Erfindung des Schachs spricht. Wieder in Indien, aber diesmal ist die Rede von einem Brett mit 10 x 10 Feldern und zu den Figuren tritt noch ein Kamelpaar hinzu. Allerdings werden hier die Bewegungen der Figuren angesprochen. Es sind die auch sonst bekannten Züge. Folgt man der Geschichte weiter, darf Schach nicht älter als 300 v. Chr. sein, da die Rede von einem verstorbenen König ist, der berühmter als Parus (der Gegner Alexanders) gewesen sei. Die älteste bisher gefundene Stelle allerdings entspringt einer Mittelpersischen Romanze, dem Karnamak, die ungefähr zwischen 590 und 628 nach Chr. (in der Herrschaftzeit des sasanischen Regenten Kosroes II.) entstanden sein muß.

Die Herren Forbes und Weber bemühten sich in ihren Werken um den Ursprung über die Herleitung des Wortes Chaturanga. Ein alter Sanskrit-Begriff, der lange Zeit mit „Spiel der vier Könige“ übersetzt wurde. Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich aber dabei um eine Abart des Schachs, dem Würfelschach, dass bei Feierlichkeiten beim Vollmondfeste gespielt wurde um sich die Zeit zu vertreiben. Diese Auslegung geht auf AL BIRUNI zurück, einst Mathematiker, der ein sehr berühmtes Geschichtswerk über Indien verfasste. Er lebte lange Zeit in Indien und war des Sanskrits mächtig.


Bild: Fund bei Nishapur 8.Jhd. n. Chr. Mit Mausklick auf das Bild mehr Info …


Al Biruni beschreibt die Gangart der Figuren. Interessant ist, dass in seinen Erzählungen die Dame gar nicht vorkommt. Er beschreibt dies, indem er sich so ausdrückt: der Name des Königs begreift den des Farsan in sich. Auf Al Buruni ist auch die korrekte Übersetzung für Chaturanga zurückzuführen. Im Sanskrit lautet es ursprünglich Tschatur-anga und bedeutet das Vierteilige, was man auf das Heer bezog. Glaubte man ursprünglich, damit sei belegt, dass das Schach am Anfang aus vier Spielern bestand, so fand diese These relativ schnell ihre Widerlegung in der Deutung des viergliedrigen Heeres mit spezieller Beziehung auf Elephanten, Wagen, Ross und Fußvolk. Im übrigen wurde das Sanskritwort von den Persern (Schatrannj) und den Arabern (Schatrandsch) übernommen, woraus sich ajedrez, scacchi, echecs, chess, etc. gebildet haben.

Der Übergang von Persien zu den Arabern wird indess nicht allein durch die Namen des Spiels, sondern auch durch die Bezeichnung der Stücke bekundet. Schah ist als König aus dem persischen ins arabische Spiel gekommen und Shah-mat ist ein persisch und arabisch gemischtes Wort, das sich in dieser Form als Schach Matt erhalten hat. Pil (Elefant bzw. Läufer) hat keine Sprachwurzel im Sanskrit, ist aber neupersisch und wurde arabisch zu Al Fil. Baidaq für Fußgänger ist ganz persisch.

Bild: Rukh, Ferghana 8./9. Jhdt. n. Chr. Mit Mausklick auf das Bild mehr Info …


Pferd und Vizir oder Rath (Farzin) bieten nichts Merkwürdiges dar, dafür um so mehr der Begriff Rukh, der vielleicht vom Sanskritwort rotha (Wagen) abgeleitet wurde. Das heutige Schach scheint also einem starken, persischen Einfluß unterlegen zu sein. Ob dies parallel zur Entwicklung in Arabien zu sehen ist, oder ob das Schach von Indien direkt nach Arabien kam, bleibt im Unklaren.