Aron Nimzowitsch (*7. November 1886 in Riga; † 16. März 1935 in Kopenhagen
[…] Ein Idealist durch und durch ist Nimzowitsch. Er hat große Vorliebe für ernste Kunst, namentlich Musik und Theater. Der lange, schwere Kampf, den er um seine Anerkennung durchfechten mußte, hat ihn etwas überreizt und verbittert. Er fühlt sich einsam und von Feinden umgeben und ist daher stets geneigt, auch in ganz harmlosen Dingen einen gewollten Angriff zu sehen. Dies empfindet er z.B., wenn jemand – geöhnlich ein nichtsahnender Zuschauer – im Turniersaal mit Schlüsseln klimpert, Er ist ein Pessimist, befürchtet immer das Schlimmste und ist ewig besorgt, teils in schachlicher, teils in gesundheitlicher Beziehung. Aus letzterem Grunde ist er ein fanatischer Nichtraucher. So nervös, zerstreut und überreizt er aber im Privatleben scheinen mag, am Brette ist er ruhig und verliert auch in den schwierigsten Situationen nicht den klaren Kopf. Seine Erfindungsgabe treibt dann um so raffiniertere Blüten.
Er ist extrem, paradoxal, unberechenbar, eine sensible Künstlernatur von ungewöhnlich hoher Intelligenz. Nichts hasst er mehr als den Alltag und das Spießbürgertum. Er besitzt immer den Mut zur Wahrheit und Ehrlichkeit, und wenn er sich dadurch Feinde macht, so ist er höchstens stolz darauf. Er ist kein Freund der großen Gesellschaft und des lärmenden Lebens. Durchglüht vom Feuer ewiger Ideale, ist Nimzowirsch das Urbild eines Ganzgroßen, das Urbild eines Genies! […]
Quelle: Rudolf Spielmann – Portrait eines Schachmeisters in Texten und Partien , Herausgeber Michael Ehn, Verlag H.-W. Fink, Seite 54/55
Nach Dr. J. Hannak (Wien) hatten seine Eltern in ihren amtlichen Dokumenten noch die slawisierte Schreibweise Ihres Namens Nêmcovic verzeichnet. Nach einem unveröffentlichten Dokument von H. Kmoch kann das russische Wort nyem-tso-vitch (die Betonung liegt auf der ersten Silbe) mit „Sohn eines Deutschen“ übersetzt werden. Weiter führt H. Kmoch aus, dass im lateinischen Alphabet zwar verschiedene Versionen seines Namens gab, doch keine davon wurde von ihm bestätigt. Es existieren aber Dokumente aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, in denen A. Nimzowitsch mit Aron Niemzowitsch unterschrieb.
Immatrikulation in Zürich 1905 …
J. Hannak führt in seinen Erklärungen weiter aus, als Niemzowitsch nach dem ersten Weltkrieg aus dem Baltikum endgültig nach dem Westen emigrierte, unterliessen die Behörden bei der Ausstellung des Passes den Buchstaben ‚e‘, so daß aus Niemzowitsch nunmehr Nimzowitsch wurde. Nimzowitsch unterließ es, eine Richtigstellung zu verlangen, denn er wäre Gefahr gelaufen, dass der Paß noch ein paar Wochen auf irgendeinem Amt herumgelegen und vielleicht ganz verschwunden wäre. In so wilden Zeiten war es besser, einen Paß mit orthographisch falschem Namen, als gar keinen Paß zu haben.
Einen anderen Ansatz liefert H. Kmoch. Er schreibt, dass Nimzowitsch bei Ausbruch des Krieges um 1917 in die Front zwischen die Kriegsgegner geriet. Mit vorgespieltem Wahnsinn sei es ihm gelungen nach Berlin zu entkommen. Dort aber trat er unter dem Namen Arnold Nimzowitsch auf. Er kam aber sehr schnell wieder zu seinem ursprünglichen Namen Aron zurück. Hieraus würde sich nicht nur das ‚verlorene e‘ in seinem Nachnamen erklären, sondern auch das von ihm seitdem verwendete A. Nimzowitsch.
[Bild links] Dieses Bild wird in Tartakowers ‚Die hypermoderne Schachpartie‘ im Bilderverzeichnis mit Nimzowitsch Arnold betitelt (Seite 517).
Die frühe Jugend – erste Gehversuche –
Wir wissen sehr wenig über die Lebensumstände seiner Kindheit und ersten Jugend.
In dem Berliner Deutsche Wochenblatt wird schon 1896 von einem neunjährigen Knaben berichtet, der sich im Baltenland durch gute Schachpartien hervortue:
[…]
In der Düna Zeitung veröffentlicht A. Ascharin die nachstehende, unlängst gespielte Partie des 9jährigen Knaben Aaron Nimzowitsch, Sohn eines Rigaschen Kaufmannes.
1.e4 d5 2. exd5 Dxd5 3.Sc3 Dd8 4.Sf3 f5 5.Lc4 Sc6 6.0-0 Dd6 7.d3 Db4 8.Le3 Dxb2 9.Sd5 Kd8 10.Lc5 b6 11.Tb1 Dxb1 12.Dxb1 bxc5 13.Sg5 Se5 14.f4 h6 15.fxe5 hxg5 16.Se3 f4 17.e6 fxe3 18.Txf8#
Wir brauchen also in Zukunft die Wunderkinder nicht mehr in Amerika zu suchen […]
Quelle: Deutsches Wochenschach, Nr. 40, 4.10.1896, S. 373
[Bild rechts] Dieses Bild wurde in Königsberg (Kaliningrad) aufgenommen. Das Bild ist ohne Jahresangabe, aber vermutlich im Jahre 1902 entstanden und zeigt Nimzowitsch vermutlich mit seinem Vater Schaya und seiner Schwester Tilja
Dasselbe Deutsche Wochenblatt publiziert 1904 auf S. 213 zum ersten Mal eine Nimzowitsch-Partie, mit der Bemerkung, dass sie von der Kombinationskraft des Führers der Schwarzen ein glänzendes Zeugnis ablegt. Von da an sollte sein Name aus den Spalten der Schachzeitungen für die nächsten 30 Jahre nicht mehr verschwinden.
Seiner ursprünglichen Absicht nach, kam er aber nicht wegen des Schachspiels nach Deutschland, sondern um dort zu studieren. Mieses erzählt in seinen Nimzowitsch Erinnerungen (Schach-Taschenbuch-Jahrbuch 1953, S. 37ff), dass über Nimzowitsch das gleiche Scherzwort im Umlauf war, wie ein Vierteljahrhundert zuvor über Curt von Bardeleben: Er studiert Schach und spielt Jura. Tatsächlich studierte er Philosophie, aber das ist seitdem gleichgültig geworden, seine Lehrwerkstatt war das Kaffee Kaiserhof in Berlin und nicht die Aula der Universität.
In der Folge erreichte A. Nimzowitsch einige, achtbare Erfolge. Dann jedoch kam Barmen 1905, dass zu so einer Katastrophe ausartete, dass sich A. Nimzowitsch für ein Jahr aus dem Turniergeschehen zurückzog und an sich und seinem Spiel arbeitete. Er gewinnt München 1906 und zeigt sich sehr erfolgreich auf einigen großen Turnieren. Doch im Januar 1908 in seinem Match gegen Spielmannerfährt er einen großen Rückschlag. Für fast drei Jahre zieht er sich wieder aus dem Turniergeschehen zurück um dann in Hamburg 1910 wieder erfolgreich aufzutauchen. Es folgen einige sehr gute gespielte Turniere, in denen er immer im vorderen Tabellenbereich landete.
Die Revolution …
Symptomatisch für ihn war neben seinen wechselnden Erfolge und Niederlagen, die Gewohnheit sich unbeliebt zu machen. Später, als er sich seinen schachhistorischen Platz erobert hatte, nahm man das kopfschüttelnd oder lächelnd hin, aber in den Anfängen seiner Karriere bereitete ihm das große Schwierigkeiten.
Auffallend war auch die Tatsache, dass er sich immer wieder aus dem öffentlichen Turnierwesen zurückzog und dann teils Jahre später wieder mit großem Aufsehen auftrat. Dies ist zum Teil darin begründet, dass er trotz der strikten Abstinenz von Nikotin und Alkohol ein eher kränklicher Mensch war, dem die anstrengenden Turniere sehr viel Kraft kosteten. Andererseits aber zeigt sich auch, dass sich in diesen Phasen seine Spielmetodik änderte und seine Theorien reiften.
Zunächst ging es nicht um neue Stilregeln, sondern um die systematische Prüfung der Eröffnungen und Strategien auf der Suche nach Ausnahmen zu den Theorien der Väter der Moderne.
San Sebastion 1912 A. Nimzowitsch wird zweiter hinter Rubinstein. Das eigentlich maßgebliche aber ist die Partie gegen Tarrasch die A. Nimzowitsch mit einer hypermodernen Eröffnung, der Vorstoßvariante in der Französischen Verteidigung gewinnt.
Auf dem Höhepunkt …
In demselben Jahr 1912 greift A. Nimzowitsch in einem „offenen Brief“ Tarrasch an. Anlaß war eine Glossierung von Tarrasch zur entscheidende Partie Rubinstein-Nimzowitsch aus dem Turnier San Sebastian 1912. U.a. schreibt Tarrasch zum 2. Zug: […] Nimzowitsch hat eine ausgesprochene Vorliebe für häßliche Eröffnungszüge […], und im Kommentar zum 25. Zug steht: […] Die konsequenteste Fortsetzung des bisherigen abscheulichen Spiels von Schwarz: ein Boch von ungewöhnlicher Dicke […]. Dies war der Startpunkt für ein über Jahre ausgetragenen Streit, der wie Wolfgang Kamm in seiner bemerkenswerten Biographie über Tarrasch schreibt unüberhörbar war. Kurz vor dem Ausbruch des Weltkrieges erscheint in der Wiener Schachzeitung Nr. 5-8, 1913 ein Aufsatz Nimzowitschs „Entspricht Dr. Tarraschs Die moderne Schachpartie wirklich moderner Auffassung?“. Umgehend mischte sich Alapin mit einem Gegenartikel in den Streit ein, worauf nahezu postwendend wieder ein Artikel von Nimzowitsch folgte.
In der russischen Meisterschaft St. Petersburg 1913 teilt er sich mit Aljechin zusammen noch den ersten Platz, um dann aber ein Jahr später auch ain St. Petersburg sank- und klanglos unterzugehen. Dann hört man lange Zeit nichts von ihm. In Göteborg 1920 erstmals wieder bei einem Turnier, ergeht es ihm nicht besser. Es folgen wieder einige Jahre der Enthaltsamkeit. Er lässt sich in Kopenhagen nieder, wo er bis zu seinem Tode in einem kleinen, gemieteten Zimmer wohnt. Beiläufig sei erwähnt, dass er in dieser Zeit in Kiel ein kleines Trainingsmatch gegen den deutschen Meister A. Brinckmann spielte, um wie er sagte „nicht aus der Übung zu kommen“. Er gewann dieses Match mit 4-0. Im März 1923 findet sich in der Neuen Wiener Schachzeitung ein Artikel von Dr. Tartakower, in dem von Nimzowitschs tiefstem Anliegen die Rede ist, um die Geburt seines Systems. Kurz darauf gewinnt er das Meisterturnier Kopenhagen 1923 mühelos ohne eine einzige Partie zu verlieren. Hier entsteht auch die unsterbliche Zugzwangpartie gegen Sämisch. In Karlsbad 1923 wird er nur fünfter, weil er gegen die letzten drei Teilnehmer zwei Partien verloren hat. Im Turnierbuch findet man u.a. die Worte: […] ‚Mein System‘ von A. Nimzowitsch ist ausgezeichnet, nur befolgt er es leider nicht immer. […]
Es folgte Kopenhagen 1924, dass er mühelos gewann; die Gegner waren einfach eine Klasse zu schwach. Bis zum großen Baden-Badener Turnier zog sich A. Nimzowitsch wieder nach Skandinavien zurück. Irgendwann in dieser Zeit muß er dann beschlossen haben, ein Anwärter auf die Weltmeisterschaft zu sein. Tatsächlich ist in seinem dann folgenden Turnierrausch zu sehen, dass er seine Partien fast ausnahmslos streng nach seinem System auslegte.
Seine endgültige Rückkehr startet mit den Turnier in Baden-Baden 1925. Er landete im vorderen Mittelfeld, denn es zeigte sich, dass die vn ihm gewählte Turnierpause zu lang gewesen war. Unmittelbar an Baden-Baden schloß sich das Turnier Marienbad 1925 an, indem er völlig überraschend zusammen mit Rubinstein den ersten Platz erreichte.In Breslau 1925 wird er hinter Bogoljubow Zweiter. In Semmering 1926 – dem großen Erfolg von R. Spielmann – wird er nur vierter, nachdem er in den ersten 9 Runden 8 Punkte erspielt hatte. Auch in 1925 erschienen Nimzowitsch bedeutende Werke „Mein System“ und „Die Blockade“. Auf den Theorien der Blockade stützte sich später Weltmeister Petrosjan und perfektionierte den Blockadeverteidigungsgedanken und plötzlichen Gegenschlag.
In Dresden 1926 und in Hannover 1926 wird er Erster. Er scheitert jedoch im Kandidatenturnier New York 1927. Direkt nach seiner Rückkehr wird er in Berlin 1927 Zweiter. Gleiches erreicht er in Kopenhagen 1927 und in Kecskemet 1927. Dann in London 1927 wird er geteilter Erster zusammen mit Tartakower. Das gleiche Ergebnis erreicht er in Bad Niendorf 1927. Wieder in London 1927 einem Turnier des Imperial Chess Club wird er Erster. Er gewinnt Berlin 1928 um aber in Bad Kissingen 1928 nur Fünfter zu werden. In einem weiteren Turnier in Berlin im gleichen Jahr wird er zweiter hinter Capablanca.
1929 folgte das ebenso viel beachtete Werk „Die Praxis meines Systems“. Dies war auch die Zeit seines größten Erfolge, das Turnier von Karlsbad 1929. Er gewinnt dieses Turnier vor Capablanca, Spielmann und Rubinstein.
In San Remo 1930 wird er hinter Aljechin Zweiter. In Lüttich 1930 wird er nur Fünfter, um aber dann in Frankfurt/Main 1930 wieder erster zu werden.Er gewinnt das Turnier Winterthur 1931, schlägt in Bern 1931 die gesamte Schweizer Schachspitze und wird in Bled 1931 hinter Aljechin und Bogoljubow Dritter.
Danach wird es ruhiger um ihn. In einem eher zweitklassig zu bezeichnenden Kopenhagen 1933 gewinnt er. In dem nicht besser besetzten Turnier Stockholm 1934 wird er nur Zweiter. Noch einmal Mal zeigt er sich im Züricher Turnier 1934, indem er Sechster wird. Sein letztes Turnier ist Kopenhagen 1934, dass er gewinnt. Dann plötzlich kommt die Nachricht: Schachmeister A. Nimzowitsch ist im Alter von noch nicht 49 Jahren in Kopenhagen verstorben.
Am 16. März 1935 stirbt A. Nimzowitsch angeblich an den Folgen einer Lungenentzündung. Nach H. Kmoch aber soll er an Krebs gestorben sein.
Resümeé
Sein Auftauchen in der Schacharena war kein Einzelfall, sondern eine typische Erscheinung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Bis zu dieser Zeit hatte bis auf wenige Ausnahmen ( Tschigorin, Schiffers, Alapin) mitteleuropäisches, britisches und amerikanisches Schach die Turniere beherrscht.
Die Krise des russischen Weltreiches und die nahende Revolution bewirkte nun mit einem Mal einen immer stärker werdenden Zustrom aus dem Osten. Innerhalb weniger Jahre überschwemmten Spieler wie Bernstein, Rubinstein, Salwe, Tartakower und Lewitzky die großen Schachkonzile des Westens.
Einer darunter war Nimzowitsch. Etliche Spieler kamen direkt aus dem Ghetto. Im Unterschied zu den anderen aber haderte Nimzowitsch mit seiner Schickung. Er litt an dem, was er war und er begegnete seiner Umwelt mit der Waffe des Hochmuts und der Verachtung.
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